NFTs, der große Hype

Die aktuelle c’t hatte einen kurzen Artikel zu NFTs, der mich wieder dazu gebracht hat, über das Thema nachzudenken. Für die, die es noch nicht wußten “NFT” steht für “non-fungible token”, was DeepL mit “nicht fungibler Token” oder auch “nicht fungibler Wertgegenstand” übersetzt. Nicht wirklich hilfreich, denn was zum Geier bedeutet “fungibel”? Wikipedia sagt dazu:

Fungibilität […] ist die Eigenschaft von Gütern, nach Maßeinheit, Zahl oder Gewicht bestimmbar und deshalb innerhalb derselben Gattung durch andere Stücke gleicher Art, Menge und Güte austauschbar zu sein.

Demnach wäre etwas nicht fungibel, wenn es nicht durch andere, ähnliche Gegenstände austauschbar ist. Also z.B. ein besonders aufwändig hergestellter Gegenstand, von dem es keinen zweiten gibt, z.B. Kunstwerke wie das Gemälde der “Mona Lisa”, von dem es nur ein Exemplar gibt, das (hoffentlich immernoch) im Louvre in Paris hängt, oder z.B. auch etwas mit einer eindeutigen Seriennummer. (Auf der anderen Seite haben viele industriell hergestellte Gegenstände eine eindeutige Seriennummer, sind aber in der Regel gegeneinander austauschbar. Das gilt z.B. auch für Geldscheine.)

Im Zusammenhang mit NFTs bedeutet das, dass etwas, das eigentlich beliebig oft kopierbar ist (z.B. irgendwas, das aus Bits und Bytes besteht), durch einen “magischen” Vorgang zu einem Unikat wird. Es wurden in den letzten Monaten mehrfach Dinge für viel Geld versteigert, wo sich jeder fragen würde, wieso das irgendeinen Wert haben sollte, wo man es doch jederzeit beliebig kopieren kann, z.B. der erste Tweet, die erste SMS oder der Programmcode des WWW. Es gab auch mehrere gescheiterte Versuche solcher Versteigerungen und es gibt Webseiten, die davon leben, NFTs zu handeln.

Was aber macht denn jetzt diese ersteigerten “digitalen Dingsbumse” so wertvoll? Und was genau haben die Käufer ersteigert?

Nehmen wir mal was halbwegs sinnvolles, was man vielleicht tatsächlich besitzen möchte: Den Original Sourcecode des WWW, erstellt vor über 30 Jahren von Tim Berners-Lee. Sourcecode ist erstmal nur Text, den ein Compiler in ein ausführbares Programm übersetzt, das dann ein Computer ausführen kann, oder ein Interpreter direkt als Befehle interpretiert (sic!) und ausführt. Text in diesem Zusammenhang bedeutet allerdings elektronisch gespeicherter Text, also ein paar tausend Bytes in einer Datei. Spätestens seit Napster weiß jeder, dass man Dateien beliebig oft kopieren kann, ohne dass die Kopie sich vom Original unterscheidet (Übertragungsfehler mal außen vor gelassen). Was also macht diese spezielle Kopie des WWW-Sourcecodes, die jemand für mehrere Millionen US$ ersteigert hat, einmalig, so dass man von einem “Original” sprechen kann?

Nun kommen wir zu o.g. “Magie” in Form einer Blockchain. Vereinfacht gesagt ist eine Blockchain eine Verkettung von Datenblöcken, von denen jeder neue auf die vorherigen verweist und durch kryptographische Algorithmen sicherstellt, dass man deren Integrität überprüfen kann. Man kann also anhand der Chain sicherstellen, dass die darin gespeicherten Informationen unverändert bleiben. Und dann werden diese Datenblöcke noch auf genügend Computer im Internet verteilt, dass man davon ausgehen kann, dass sie nicht alle manipuliert werden können. Es gibt viele solcher Chains, die bekannteste dürfte Bitcoin sein. Wenn ich also den Text “Ich bin der zweitbeste Softwareentwickler der Welt” in einen Block einer solchen Blockchain einfüge und dafür sorge, dass er von später hinzugefügten Blöcken abgesichert wird, wird diese Information bis in alle Ewigkeit in dieser Blockchain bewahrt bleiben. Niemand kann nachträglich hingehen und daraus “Ich bin der schlechteste Softwareentwickler von Deutschland” machen, denn dann würden die neueren Blöcke diese Manipulation nicht mehr absichern.

Was hat das nun damit zu tun, dass irgendwelche an sich völlig austauschbaren Bytes jetzt plötzlich Millionen Dollar wert sind? NFTs sind sowas wie der o.g. Satz: Es ist ein digitales Zertifikat, das sowas sagt wie “Der Original-Sourcecode des WWW gehört Xyz” (Xyz ist der der Käufer) und eben in einer Blockchain unveränderbar gespeichert ist. Solange alle daran glauben, dass das etwas bedeutet, ist also Xyz der Besitzer des Original-Sourcecodes des WWW. Er kann dieses Zertifikat auch weiterverkaufen, dieser Verkauf würde dann ebenfalls in der Blockchain gespeichert, so dass der neue Besitzer damit seinen Anspruch nachweisen kann.

Aber was hat der Käufer davon? Er kann sich jetzt damit schmücken, dass er Geld ausgegeben hat und das dokumentiert ist. Das kann er sich als großes Plakat ausdrucken und ins Wohnzimmer hängen oder auf seiner Webseite veröffentlichen. Der ein oder andere mag das dann ganz toll finden, besser als der Sportwagen oder das Haus, das man für diesen Kaufpreis ebenfalls hätte kaufen können, denn dieses NFT ist ja ein ewiger Besitz, ein Sportwagen geht irgendwann kaputt. Das war es aber auch schon. Der Besitzer kann nicht etwa verlangen, dass alle anderen Kopien des Sourcecodes gelöscht werden oder dass ihn niemand ausdrucken und damit die Wand tapezieren darf. Oder dass das WWW jetzt abgeschaltet wird, weil er das so will.

Also nochmal die Frage: Was hat der Käufer davon?
Bei Licht betrachtet, gar nichts.

Und das ist auch das, was mich an der ganzen Geschichte so verwundert. Solange genügend Leute an die Sache glauben, kann man den Besitz eines NFT vielleicht noch als Geldanlage betrachten. Wenn man es verkauft, bekommt man wieder Geld dafür, wenn man Glück hat, mehr als man bezahlt hat. Wenn man Pech hat, haben bis dahin alle festgestellt, dass dieser Hype reine Verarsche ist und der Besitzer kann sein Geld komplett abschreiben. Natürlich kann er den ausgedruckten Sourcecode auch weiterhin als Tapete verwenden, aber das kann jeder andere auch.

Auf der anderen Seite liest man ständig davon, dass Leute Unsummen für solche NFTs ausgeben. Sind die denn alle blöd? Oder gibt es da vielleicht doch etwas, was ich nicht verstehe? Wird da vielleicht Geld gewaschen? Ist es ein Ponzi-Schema? Oder vielleicht ein großer Intelligenztest für Reiche?

Wenn man diese Betrachtung aber mal erweitert, kommt man wohl nicht umhin festzustellen, dass dasselbe auch für andere “Wertanlagen” gilt. Sie sind nur so lange etwas wert, wie sich jemand findet, der sie einem abkauft. Seien es Immobilien, Kunstgegenstände oder historische Gegenstände. Das teuerste Gemälde der Welt, “Salvator Mundi” von Leonardo da Vinci, hat am 15.11.2017 Mohammed bin Salman gekauft. Was genau hat er davon? Er kann es sich ins Wohnzimmer hängen und seinen Gästen zeigen. Vermutlich hat er auch mindestens ein Zertifikat eines Sachverständigen, das bestätigt, dass es sich um ein Original handelt. Er kann es, wenn er einen Käufer findet, wieder verkaufen und dabei vielleicht die 450 Mio US$ zurückbekommen, die er dafür ausgegeben hat, vielleicht auch viel mehr. Angenommen, es stellt sich in 2 Wochen heraus, dass es eine Fälschung ist und das Original – wie z.B. die Original Notizbücher von Charles Darwin – vor Jahren gestohlen wurde? (Edit: Sie sind gerade wieder aufgetaucht 2022-04-06) Das Gemälde hat keinen Wert mehr, obwohl es sich noch immer um dasselbe Gemälde handelt, das Geld ist futsch. (Möglicherweise kann man sich gegen sowas versichern.). Es wird spekuliert, dass gerade im Kunstmarkt sehr viele Fälschungen im Umlauf sind.

Es gibt, so betrachtet, also gar keinen qualitativen Unterschied zwischen einem Gemälde von Leonardo da Vinci und einem NFT für einen Sourcecode von Tim Berners Lee. Man kauft etwas, von dem man qua Zertifikat zugesichert bekommt, dass es ein Original ist. Ob es später wirklich noch etwas wert ist, hängt davon ab, ob man einen Käufer findet und was der zu zahlen bereit ist.

Ich persönlich gehe davon aus, dass der NFT-Hype bald vorbei ist und einige Leute viel Geld dabei verloren haben. Dann wird es vermutlich einige spektakuläre Betrugsprozesse geben. Aber vielleicht habe ja auch ich den Intelligenztest nicht bestanden, weil ich nicht eingestiegen bin sondern mein Geld lieber in ETFs statt NFTs investiert habe.

Nachtrag am 2022-04-16: Der erste hat es schon festellen müssen: NFTS wieder verkaufen bringt nicht unbedingt die Kosten wieder rein: NFT-Auktion: Kein Millionengebot für ersten Tweet, nirgends (heise online)